Ganze Generationen an Dorf- und Talbewohnerinnen haben sich an der großen Scheibe zur Bezauer Dorfstrasse die Nase plattgedrückt, um die neuesten Fotografien zu studieren. Wo in früherer Zeit noch Kühe im Stall standen, befand sich später jahrzehntelang das Geschäft der Fotografenfamilie Hiller. Johann Kaspar Hiller legte als erster Fotograf des Bregenzerwaldes den Grundstein. Tochter Hedwig führte das Erbe – als erste gewerbliche Fotografin Vorarlbergs – fort und ließ sich vom jungen Bezauer Architekten Leopold Kaufmann ein Fotoatelier einrichten.
Der Einbau des Fotoateliers mit Laden im ehemaligen Wirtschaftstrakt des Bregenzerwälderhauses sollte zum lange nachklingenden Erstlingswerk des Architekten werden, der bis zu seinem Tod 2019 die Baukultur in Vorarlberg mitprägte und als streitbarer Beobachter deren Entwicklung begleitete. Mitte der 1990er Jahre wurde der Fotoladen geschlossen, erst nach 20 Jahren Leerstand entschloss sich Hedwig zur Vermietung ihres Ateliers an die Architekten Innauer Matt im Jahr 2012. Jedoch mit einer Bedingung: nichts durfte daran verändert werden – angesichts der Leistung von Leopold Kaufmann keine schwere Aufgabe.
Und doch - durch langen Leerstand, Wind und Wetter arg in Mitleidenschaft gezogen - musste das Gebäude 2021 dennoch umgebaut und saniert werden. Zu diesem Zweck wurde eine eigene Baugruppe gegründet, um diese Aufgabe gemeinschaftlich zu schultern. Der Erhalt des Fotostudios stand dabei an erster Stelle. Das typische Bregenzerwälder Vorderhaus ließ sich aufgrund seines schlechten Zustands nicht mehr sanieren. So ist rund um das bauhistorische Juwel des Fotostudios ein neues Haus entstanden, das ohne Anbiederung die Formensprache des Bestands übernimmt. Die ursprüngliche Gliederung des Bregenzerwälderhauses in Vorderhaus, Tenne und Hinterhaus prägt auch heute noch die Gebäudestruktur – Innen wie Außen. Die Vorbilder liegen nahe, die Interpretation bleibt zeitgemäß. Unter einem gemeinsamen Dach finden nun drei Wohnungen und das sich über drei Geschosse erstreckende Architekturbüro ihren Platz. Ein dichtes Gefüge im besten Sinne, das Leben und Arbeiten in sich vereint. Und obwohl nun alles neu erscheint, erfüllt der ursprüngliche Geist des Besonderen nach wie vor die Mauern. Über das große Schaufenster strahlt er in das Dorf hinaus.
Text: IMA

Weiterbauen heißt im besten Sinne, die
Potenziale aller vorhandenen Gegebenheiten
zu nutzen, mit Respekt und Erkenntnis der
historischen Stärken als auch dem Bestreben
jüngerer Vergangenheit. Das Erstlingswerk
eines Pionieres der Vorarlberger Baukunst
bleibt überall spürbar und wird durch feinsinnige
und sensible Ergänzungen gesteigert.
Die Entwerfer erlauben sich, in Fugen klassischer
Ordnung sogar Anklänge an Stickereien
der Textilkunst, immer materialgerecht
und verständlich. Dieses Haus hatte eine
Seele und hat durch seine Überformung
mehrere dazubekommen preiswürdig.

Jurytext Holzbaupreis 2023